Mittwoch, 3. Februar 2016

Flüchtlingskrise - Stellungnahme



Im Dezember hatten wir eine Familie aus dem Irak mit 4 Kindern bei uns zu Gast.

Vorher hatten wir unserem Freund N., der im Lageso ehrenamtlich Übersetzungstätigkeiten ausübt, gesagt: "Wenn da jemand obdachlos ist, vorrangig eine Frau, kann sie vorübergehend bei uns übernachten. Wenn wir zusammenrücken, haben wir noch ein Hochbett frei …"

N. fand das gut. Nach einigen Tagen rief er an und stellte uns eine Frau, "jetzt schon neun Tage obdachlos", in Aussicht. Wir stimmten gerne zu.

Nach einer halben Stunde kam der Anruf, sie habe auch ein Kind.
Das änderte die Lage natürlich gewaltig – aber wir ließen uns auch darauf ein.

Nach einer weiteren halben Stunde kam die Nachricht: "Sie hat NOCH ein Kind …"
Schluck …
Die Wohnung ist klein. Aber es ist Krieg. Was soll man da sagen.
Absagen? Die "Grenzen dicht" machen? – wo mit jedem Kind die Sache nur DRINGLICHER wird?

Schlussendlich waren Mutter, Vater und vier Kinder bei uns zu Gast. Wir haben die Wohnung, das Essen, die Probleme, und – ja – teils auch die Läuse miteinander geteilt. Improvisation und Phantasie waren gefragt. Und etwas guter Wille. Aber WIRKLICHE Probleme hat es NICHT gegeben.

Auch die Läuse waren im unseren geregelten Verhältnissen kein Problem: Ein bisschen Öl aus der Apotheke – das war es dann auch schon.
Auf Flucht ist das anders. Die Kinder hatten teils schreckliche Bisswunden auf dem Kopf und ihnen waren die Haare abrasiert.

Die Stimmung war sehr gut. Die Familie war sehr leise und in allem sehr bedacht. Wir konnten zwar kaum ein Wort miteinander sprechen, aber uns mit Gesten gerade so verstehen. Und wenn N. bei wichtigen Fragen nicht zur Verfügung stand, bin ich mit dem Vater in die nahe gelegene Badstraße marschiert, habe einen arabisch aussehenden Menschen dort auf der Straße um Hilfe gefragt, und der hat uns dann alles übersetzt. – Wir wohnen im Wedding … da war das glücklicherweise kein Problem.

Waren wir jetzt "Gutmenschen"?
Na ja! Wenn wir … dann aber die Iraker auch!
Die Herzlichkeit war nicht zu überbieten.
Die Bedrohungen, die sie letztendlich zur Flucht bewegten, die waren das allerdings auch nicht.

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Es wird viel von der Flutung Deutschlands mit Ausländern gesprochen – und diese FLUTUNG zum Problem erklärt.

Es ist aber kein DEUTSCHES - sondern ein WELT-Problem, ein Problem der GANZEN MENSCHHEIT, welches uns hier trifft. - ÜBERALL sind Menschen auf der Flucht.
Vor Was? Vor Wem? Und wer hat den Wind gesät, dessen Sturm wir jetzt ernten? [1]
Vor 49 Jahren ist Benno Ohnesorge erschossen – und damit die Radikalisierung der protestierenden Studenten bis hin zum Terrorismus der 70er und frühen 80er Jahre bei uns eingeleitet worden. Und auf der anderen Seite der "Gang durch die Institutionen", den ein anderer Teil der Studenten unternahm

Beide Bewegungen sind gescheitert. Die eine durch das Unrecht, dass sie selber zeugte, die andere durch ihre Anpassung an die Verhältnisse, die sie einst zu kritisieren unternahm. Gestartet sind sie aber beide durch ein erstes, bis heute unerledigtes (!) Aufbegehren des Gewissens gegen den unmoralischen Einfluss des Westens in die Geschicke der muslimischen Welt.

Jetzt, nach 49 Jahren des nicht Hinsehen Wollens auf die dunkle Seite unserer Macht- und Wirtschaftspolitik sind Taliban, Al-Quaida und der IS entstanden und die Flüchtlinge bei uns. Wie sollen wir da in NATIONALEN Kategorien denken???

Das Problem des Kulturen stellt sich natürlich scharf. Aber es ist Krieg. Und trotz der bei uns auftretenden riesigen Probleme schätze ich es sehr, dass unsere Grenzen NICHT geschlossen worden sind und Frau Merkel einen Rest von Humanität in dieser Lage aufrecht erhalten hat …

Aber ich bedaure, dass Politik und Presse nicht ebenso mutig über die WAHREN Ursachen der weltweiten Kriege und Krisen sprechen.      

Entweder wir erfassen die WELTWEITE Dimension des Problems und gehen seine (durchaus auch bei uns hausgemachten) WAHREN Ursachen an – oder wir verfallen in düsteren Nationalismus, wenden uns gegen die Fliehenden und verspielen noch einmal unseren guten Ruf und völlig unsere Ehre …

29.01.2016,
Ralph Boes